Ostseetörn mit Brandungsruderboot

Unser erster Ostseetörn mit Brandungsruderboot

 Am Anfang war es nur eine Idee: ein erstes eigenes Seeaben-teuer mit Brandungsruderbooten auf der Ostsee. Sollte ich, sollten wir es wirklich hinbekommen, als Ostsee-Unerfahrene nur mit dem Langtursstyrmandsret, einigen Wind- und Wellen-Prognose-Apps und etwas Rheinerfahrung in der Tasche primär eine Umrundung der beiden größten deutschen Inseln, Rügen und Usedom, zu wagen? Zur Sicherheit eines Brandungsruder-bootes möchte ich berichten, dass es unsinkbar ist, da das zweischalige Boot genügend eingeschlossenen Luftraum besitzt und das Wasser am Heck jederzeit wieder abläuft. Außerdem waren wir alle mit halbautomatischen Sicherheitswesten ausgestattet und hatten die Etappen vorher im Garmin getrackt, um jederzeit eine Orientierung zu haben.

 An die große Glocke hängen wollte ich den Törn ohne eigene Erfahrungen dennoch nicht, also blieb es beim ersten Mal ein wenig unter der Hand und im engeren Bekanntenkreis. Als Boote kam der Kaiman über den Exil-Oldenburger Kai der RV Rijnland und der Albatros des DRV zur Ausleihe in Frage. Letztlich blieben wir eine kleine Gruppe mit einem Boot und einem Landdienst, denn die Erfahrung aller Berichte, die ich gelesen hatte, bewies, dass auch die Ostsee jeden Tag unkalkulierbar werden könnte.

Für die erste Woche wurden wir eine  Gemeinschaft von drei Rijnländern (Job, Erik und Kai (ehemals ORVO)), die ihr Boot, den Kaiman (Eurodiffusion) mitbrachten und Thomas und mir aus Oldenburg (ORVO) und Wilhelm aus Emden (ERV). Bei unseren drei Senioren hatte ich mich einfach darauf verlassen, dass, wer vorher so viele Törns überlebt hat, auch diesmal überleben würde (= verantwortungsvoll und froh in den Tag blickt!)! In der zweiten Woche tauschten Job und Erik gegen Thomas (ProSportBerlin) und Johanna (NRCB) aus Berlin.

RÜGEN:

In der ersten Woche hatten wir ein Standortquartier im Stralsunder Ruderclub, wo wir sehr gastfreundlich von Neumi (Jürgen Neumann, „Beste Seele des Clubs“) und Hartmut Wohlert ( Verfasser vieler Ostseegewässerkataloge) aufgenommen wurden. Wir schliefen im großen Übernachtungsraum mit Doppelstockbetten, erzählten uns fast immer die ganze Nacht von unseren Erlebnissen des Tages ( „Irgendjemand schnarchte immer!“) und nutzten die Küche für das gemeinsame Kochen. Natürlich bedeutet die Tour mit festem Quartier längere Shuttle-Strecken, dafür entfällt der tägliche Lagerauf- und -abbau. Die Etappen führten uns am Samstag (54km) außen um Hiddensee nach Schaprode. Der Landdienst fuhr mit dem Auto bis Schaprode und von dort mit der Fähre nach Hiddensee, um zur Mittagspause am Strand dazu zu kommen. Hier hatte die Mannschaft an diesem Tag das widrigste Wetter der gesamten Tour, denn es gab am Nachmittag sogar einen Ruderer mit Seekrankheit an Bord. Am Abend wurde der Kaiman in Schaprode ganz seitlich des Campingplatzes auf drei Bootsrollen am Strand abgelegt. Diese Bootsrollen erleichtern das Tragen des schweren Bootes, denn man kann es darauf einfach zum Strand hoch ziehen und muss dabei lediglich auf den Sitz der Finne achten. Am Sonntag (37km) ruderten wir über Nonnevitz (Mittagspause, Vorsicht: Untiefen in Strandnähe erkunden!) um das berüchtigte Cap Arkona nach Vitt, wo wir den Kaiman geschickt um die Untiefenbojen in den Hafen zirkelten und nach Rücksprache mit dem Fischer im Hafen ablegen durften. Ab jetzt nutzten wir fast jeden Tag die Gelegenheit zum erfrischenden Bad in der Ostsee. Montag (25km) erreichten wir nach einer Strandpause und Rudelruhen am Strand der Schaabe Lohme. Hier konnte wir das Festmachen des Kaiman mit den Kugelfendern üben. Eine feine Sache! Insgesamt kann ich sagen, dass wir fast immer sehr nett aufgenommen wurden. Stress durch die Hauptsaison störte selten unsere Urlaubsfreude! Insgesamt lernten wir uns auf so engem Raum in so kleiner Gruppe ganz gut kennen und schätzen und ich glaube, ungefähr heute sagte Kai zu Wilhelm: „Du bist so klasse, mit Dir würde ich auch weiterhin rudern, wenn Du mal nur noch halbe Kraft ziehen würdest!“ Dann folgte der Dienstag (40km) am Kreidefelsen! Von der WaPo wurde wir freundlich auf die Einhaltung der 500m Abstandszone hingewiesen, was schon etwas lächerlich wirkt, wenn unten am Ufer Busladungen von Touristen umher laufen. Mit Pause in Prora (ehemaliges KDF-Erholungsheim, 2,5km Länge des Gebäudekörpers) ruderten wir bis Baabe, wo der Landdienst bei der Kurkönigen persönlich eine Ablagegenehmigung am sehr ordentlichen Strand erwirken konnte. Der Mittwoch (41km) ergab wieder mehr Wellenabenteuer, denn der Wind frischte auf. Am Südperd grüßten uns sogar die Surfer respektvoll mit strahlendem Gesicht und einem Daumen hoch: „Ahoi!“ Mittagspause in Groß Stresow und dann weiter nach Pritzwald zum Naturcampingplatz. Donnerstag (40km) schlossen wir dann bereits die Runde von Pritzwald bis Stralsund mit kurzer Pause in Drigge. Bei der Einfahrt nach Stralsund konnten wir endlich sowohl die Rügendammbrücke vom Wasser aus bewundern als auch die Silhouette der ehrwürdigen Hansestadt. Der Wind stand heute ungemütlich gegen uns und vor allem die reflektierenden Wellen hinter der Hafenkaimauer machten die letzten Meter sehr anstrengend. DIE RUNDE UM RÜGEN WAR GESCHAFFT! Heute war außerdem unser Kulturabend! Wir fuhren nach dem frühen Abendessen zu den Störtebeker Festspielen nach Ralswiek! Ein tolles Erlebnis!

DER TRANSFER:

Freitag (44km) erfolgte dann nochmals ein geteilter Landdienst: Am Vormittag vernahmen wir dabei von Job, dass er die Pausenstelle nicht richtig gefunden habe, das Auto aber auf Sand festsäße. Ein Bagger hatte ihn dann wieder befreit und er hatte als neues Ziel die Insel Riems erkoren. Dann kam die Ankündigung von Kai: Wenn die VL Landdienst hätte, würden die Wikinger wieder in See stechen und ein großes Abenteuer sei zu erwarten, genaues könne nicht verraten werden! Ich aalte mich also am Strand in Lubmin in froher Erwartung der Abenteurer. Da erreichte mich der Anruf: „Wir haben vor dem Kraftwerk in Vierow eine vom Segelboot gestürzte Frau aus Seenot gerettet! Sie trieb 1,5km von der Küste entfernt alleine im Meer mit einem Rettungsbrocken. Ruf die Seenotrettung an, wir bringen sie zur Seebrücke in Lubmin!“ Das tat ich auch. Wenn der Steuermann Thomas nicht solche Adleraugen gehabt hätte, hätte der Schutzengel der Frau auch nichts mehr genützt, denn die Mannschaft hätte sie bei dem Wetter aus der Entfernung gar nicht hören können. Die Männer hatten die vollkommen kraftlose Dame dann an Bord gehievt und sie auf den Steuerplatz gesetzt und den eigenen Steuermann auf die Bordkiste versetzt. Ich glaube, sie war in Lubmin noch so unter Schock, dass sie sich nicht einmal verabschiedet hat, als der Rettungsdienst sie unter seine Fittiche genommen hat.

Noch vor Ort gab es einen Kümmel auf den Schreck. Dann fuhren wir zurück nach Stralsund und grillten im Garten des Ruderclubs am Ufer.

Am Samstag (25km) fand dann unser Mannschaftswechsel statt. Schweren Herzens ließen wir Job und Erik zurück gen Niederlande fahren. Wir waren eine echt gute Gemeinschaft geworden! An diesem Tag ruderten wir den Kaiman als unterbesetzten Vierer weiter Richtung Usedom nach Freest, denn unsere zweite Inselumrundung lag an. Ein kurzer Abstecher sollte uns zur Insel Ruden führen, denn Kai versprach uns bei der Hitze im Hafen ein Eis. Laut Jübermann sollte der Hafen auf der Ostseite liegen, wenn man um den Damm fuhr. Als wir am Strand anlegten, verjagte uns aber ein Schutzmann: „Hier ist das Anlegen verboten! Wenn Sie in den nächsten 15 Minuten verschwinden, sehe ich von einer Bestrafung ab!“ Kai holte mit Inlineskates den Bus nach Freest nach, während wir in der Ostsee schwimmen gingen. Abends trafen Johanna und Thomas hinzu.

USEDOM: 

Sonntag (26km) zogen wir dann um in Richtung Usedom zum Campingplatz Lassan. Wir überführten den Kaiman zur Strandseite nach Trassenheide. Der Strand ist wirklich endlos lang in Usedom. Ein echter Traum. Daher konnten wir hier auch Montag (36km) noch wieder baden und rudern und legten die Strecke bis Ahlbeck zurück. Am Dienstag (35km) folgte dann das Abenteuer Kaiserfahrt. Die Hafenpolizei meldete uns bei der Hafenaufsicht an und erwirkte für uns eine Genehmigung zur Durchfahrt des Hafengeländes. So stand der Weiterfahrt bis Kamminke, feiner Strand und toller Fischimbiss, nichts mehr im Weg! Mittwoch (44km) folgte dann der Törn über das kleine Haff mit Pause in Karnin bis Lassan. Bei fehlendem Wind ist das eine schweißtreibende Angelegenheit! Zum Glück gab es in Karnin einen echten Rudersteg und wir konnten einmal ins Wasser springen. Donnerstag (29km) schlossen wir dann die zweite Runde. In Wolgast hatten wir im Ruderverein Mittagspause geplant und alle genossen den Schatten. Am Nachmittag erkundeten wir kurz den Hafen in Peenemünde und machten eine sehr geeignete Slipanlage zum Rausnehmen für Samstag klar, bevor wir erneut in Freest anlegten und am Strand das Boot ablegten. Nun blieben uns noch zwei Tage für reines Seeabenteuer: Um den Peenemünder Haken ruderten wir den Kaiman am Freitag (22+8km) erneut auf die Strandseite, genossen hier reinen Brandungsspaß und Strand und Sonne und Meer in Karlshagen. Der Samstag (8+22km) bot uns Gelegenheit für das gleiche Spiel rückwärts: Vormittags Brandungsrudern und am Nachmittag die Rückfahrt nach Peenemünde. Dann verluden wir den Kaiman und bauten unser Lager ab. In der Nacht zog ein kräftiges Gewitter auf. Kai: „Das macht doch alles keinen Sinn mehr, laßt uns abreisen!“

Schade: Zwei Wochen Abenteuer mit zwei tollen Mannschaften und einem Jahrtausendsommer waren zu Ende. Ein begeisterndes Erlebnis mit einem Brandungsruderboot. Es war definitiv keine Wanderfahrt im üblichen Sinn, sondern das bisher schönste Seeabenteuer meines Lebens! Im Kopf geistern gerade viele neue Ideen und die Hoffnung auf den nächsten grandiosen Sommer! Danke Euch allen!

Kerstin Markus (ORVO)

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